Haus Next

Im Gespräch mit Herrn Bergfeld

Im Rahmen unserer neuen Artikelserie zum Thema Resilienz und Krisen durften wir vor Kurzem ein spannendes Experteninterview mit Herrn Bergfeld, dem Geschäftsführer des Bundesverbandes Großhandel Heim & Farbe e.V., führen. Der GHF ist ein Verband von Großhändlern, die den Fachhandel und die Gewerke mit Bodenbelägen, Farben, Heimtextilien, Wandbelägen, Klebstoffen, Spachtelmassen und Trockenbauprodukten sowie Werkzeugen versorgen. Genau wie wir von Haus Next schaffen sie ein Netzwerk und fördern den vertrauensvollen Austausch zwischen ihren Mitgliedern getreu ihres Leitbilds: „Verband bedeutet Netzwerk“ – da haben wir doch schon vieles gemeinsam!

Im Verlauf des Interviews verwendet Herr Bergfeld die Metapher eines Riffs und vergleicht den Großhandel mit den kleinen, nicht so schönen Fischen, die weit unter der Wasseroberfläche schwimmen. Was sich hinter dieser Metapher verbirgt und wie Herr Bergfeld die Auswirkungen der Corona- und Ukraine Krise für den Großhandel einschätzt, könnt ihr in diesem Artikel erfahren.

Wie hat sich die Corona-Krise auf die Großhandelsbranche ausgewirkt?

2020 und 2021, also die Kernjahre der Corona Pandemie, waren überaus erfolgreiche Jahre für den Farben- und Bodenbelagsgroßhandel. Das ist im Nachhinein betrachtet eigentlich leicht zu erklären. Die letzte wirklich große Wirtschaftskrise hatten wir 2007 im Rahmen von Leeman. Die Wirtschaftsleistung war damals von 100 auf 97 Prozent gesunken. Ganze drei Prozent und alle haben geglaubt uns fällt der Himmel auf den Kopf. Und in unserer Branche gab es zu diesem Zeitpunkt, also 2007, einen Zuwachs von fünf bis sieben Prozent. Und das war 2020/2021 wieder der Fall. Im Jahr 2020 konnte die Branche gute 10 Prozent Zuwachs erzielen. Das lag daran, dass durch die Lockdowns und dem geschlossenen Einzelhandel der Großhandel auf der einen Seite ganz klassisch die Belieferung seiner Handwerkskunden fortführen durfte und auf der anderen Seite zusätzliche Endverbraucher gewinnen konnte, die andernfalls ihre Ware im Einzelhandel gekauft hätten. Zusätzlich haben viele Menschen mehr Zeit zu Hause verbracht aufgrund von Homeoffice, der Reisebeschränkungen oder Kurzarbeit, wodurch viele Renovierungen vorgezogen wurden. Die Nachfrage stieg somit an und so konnte die Großhandelsbranche ihren Umsatz steigern.

Neben den Umsatzsteigerungen konnten auch Kostenreduzierung erzielt werden. Die Außendienstmitarbeiter konnten nicht mehr zu ihren Kunden fahren, Messen wurden abgesagt und Veranstaltungen und Reisen konnten nicht mehr stattfinden, wodurch laufende Kosten eingespart werden konnten. Insgesamt kann man festhalten, dass 2020/2021 ein überaus erfolgreiches Jahr für den Großhandel war. Auch wenn es natürlich für alle extrem stressig war aufgrund von extrem volatilen Rahmenbedingungen. Auch wir hatten tagtäglich mit sich verändernden Gesetzen und Hygieneregeln zu kämpfen, die auch dem Großhandel eine enorme Flexibilität abverlangten. Darf ich meinen Betrieb öffnen oder nicht? Dürfen Endverbraucher überhaupt ins Geschäft herein? Wie viel Kunden dürfen die Ausstellung betreten? Mein Gott, was haben wir uns die Finger wund geschrieben! Das war schon stressig, aber rein wirtschaftlich gesehen waren diese Jahre sehr erfolgreich. 2021 war sogar noch mal erfolgreicher als 2020. Das Umsatzwachstum 2021 war zwar bei Weitem nicht so hoch verglichen mit dem Vorjahr, aber das Jahr war bereits geprägt von den ersten Lieferschwierigkeiten. Warum? Weil es andere Regionen auf der Welt gab, deren Infektionszahlen sich wieder nach unten entwickelten und die wirtschaftliche Nachfrage somit wieder anstieg. Und insofern mussten wir dann auf einmal feststellen, dass im Laufe des Jahres 2021 die Rohstoffe knapper wurden. Demzufolge haben sich auch die Preise erhöht. Das hatte dazu geführt, dass wir zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten ja fast in eine Verteilungsposition gekommen sind. Also eine völlig andere Situation als im Vorjahr. Das hat wiederum dazu geführt, dass zwar der Umsatz nicht so dramatisch gestiegen ist wie in 2020 und es auch kein Mengenwachstum gab, aber es hat unterdessen ein deutliches Margen Wachstum stattgefunden.

Also wir haben in unserem Verband Händler, die ganz klar sagen 2020 war wirtschaftlich gesehen für das Unternehmen überragend und 2021 war im Nachhinein das beste Ergebnis seit Jahrzehnten.

Wie hat sich der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen auf die Großhandelsbranche ausgewirkt?

Ich glaube, der Großhandel ist genauso gesellschaftlich als auch menschlich betroffen von der anhaltenden Situation in Europa wie alle anderen Branchen auch. Niemand hat sich solch ein Horrorszenario ausmalen können.

Durch die Erhöhung der Energiekosten ist der Großhandel ebenso betroffen wie alle anderen auch. Auswirkungen auf den Absatz mussten wir bisher jedoch noch nicht verzeichnen. Januar und Februar waren beides Monate mit einer deutlich positiven Umsatzentwicklung, aber natürlich keiner positiven Mengenentwicklung. Wir haben mittlerweile die fünfte Preiserhöhung unserer Sortimente hinter uns und die sechste kommt dann Mitte des Jahres auf uns zu. Also was sind weiterhin die Auswirkungen? Klar, zum einen die hohen Energiepreise und zum anderen die weiterhin anhaltenden Rohstoffengpässe. In erster Linie handelt es sich dabei um die Rohstoffe: Aluminium, Metalle, Kunststoffe und Holz.

Der Vorteil für den Bodenbelags- und Farbenhandel ist, dass die Läger extrem voll sind, weil man bereits aufgrund der Corona Pandemie die Bestände im letzten Jahr deutlich hochgefahren hat. Also das heißt die Grundfunktion des Großhandels der Raum-, Zeit- und Mengenüberbrückung bleibt vorerst gewahrt. Aber eines ist klar, in wenigen Wochen werden die Läger in einigen Produkten fast leer sein. Dann werden die Preise für zum Beispiel ein Eichenparkett um nahezu100 Prozent gestiegen sein. Insgesamt haben sich die Abgabepreise in unserer Branche in diesem Jahr bereits um 17% über das gesamte Sortiment erhöht.

Trotz der erhöhten Preise haben wir bis jetzt jedoch noch keinen Nachfragerückgang verzeichnen müssen. Aber wenn der Krieg noch lange andauert, dann müssen wir davon ausgehen, dass die Zukunftsängste private Endverbraucher deutlich steigen werden. Je mehr wir über Flugabwehrsysteme, über neue Panzer für Deutschland und so weiter sprechen, desto eher beschleicht den Endverbraucher vielleicht das Gefühl, das Geld vorerst besser zu sparen und gegebenenfalls eine Renovierung erst mal nach hinten zu datieren. Das ist bisher nicht der Fall, weil wir natürlich auch sehen, dass die Kunden unserer Kunden Menschen sind, die gut ausgebildet sind, die an der Spitze der Einkommenspyramide stehen, die auch zur Erbengeneration gehören, die über Geld verfügen. Also da erwarte ich jetzt kurzfristig keine dramatischen Veränderungen. Dennoch gilt es in den nächsten Monaten die Nachfrageentwicklung zu beobachten.

Im Gewerbebereich erwarte ich dann schon eher, dass die Nachfrage relativ schnell zurückgehen wird. Und zwar nicht, weil die Farbe oder der Bodenbelag jetzt zu teuer geworden ist, sondern weil man zum Bau eines Gewerbegebäudes schlichtweg Stahl benötigt und sich die Stahlpreise nun mal verdreifacht haben.

Und insofern müssen wir davon ausgehen, dass die Ukraine-Krise einen Impact auf unser Geschäftsmodell haben wird. Das ist ganz klar. Wie groß der sein wird, müssen wir abwarten. Also 2022 sind die Auswirkungen noch überschaubar, aber wie gesagt, die Energiepreise und die Verfügbarkeit von Ware wird sich im Laufe der Zeit massiver auf die Branche auswirken. Der Vorteil, den wir haben, ist einfach, dass unsere Branche sich in einer Blase befindet, eingekapselt ist. Ich vergleiche unsere Branche auch gerne mit einem Riff. Dort sind viele große bunte Fische. Diese Fische befinden sich relativ weit oben, weil sie dort die Sonne erreicht. Und dann gibt es in dem Riff kleinere Fische, die weiter unten schwimmen und eher grau sind und das ist unsere Branche. Wir schwimmen nicht so weit oben und sind nicht so schön. Unsere Branche ist einfach nicht so sexy mit fast fünf Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Aber wenn der Sturm kommt und über dieses Riff hinweg bläst, dann fliegen die Fische oben schon ziemlich durcheinander. Die Fische, die weiter unten schwimmen, die bewegen sich ein bisschen nach links und rechts. Und das ist so ein bisschen unsere Branche. Wir gehen fünf Prozent hoch, fünf Prozent runter, aber unser Geschäftsmodell ist sehr stabil. Aber jetzt geht es ans Eingemachte, den Eindruck habe ich dann schon.

War die Großhandelsbranche gut auf eine Krise vorbereitet?

Wenn man keinen Anruf von der CIA bekommen hat, wurde man von den Geschehnissen der letzten Wochen überrascht. Beide Krisen, die Ukraine-Krise als auch die Corona Krise, hat alle unvorbereitet getroffen. Das hat in Deutschland niemand erwarten können. Eine geplante Vorbereitung auf die Krise war demnach unmöglich. Dennoch war der Großhandel im Ergebnis der Corona Krise gut auf die Ukraine Krise vorbereitet. Wie zuvor erwähnt wurden im Zuge der Corona Pandemie die Bestände hochgefahren, wodurch die Auswirkungen der Ukraine-Krise zunächst erst mal abgefedert werden konnten. Tatsächlich war an der Stelle die Corona Pandemie für den Großhandel aus logistischer und Waren technischer Sicht die Vorbereitung auf die Ukraine-Krise, das darf man vielleicht so sehen. Denn grundsätzlich ist der Großhandel anders aufgestellt. Das Credo war zuvor: Man verfügt über ein möglichst breites Sortiment, über viele Hersteller und liefert am liebsten alles immer just in time. Also ich habe alles, aber nichts an Lager. Das ist natürlich in Krisenzeiten ein sehr riskantes Geschäftsmodell. Heute hat sich das geändert. Alternativlieferanten liefern und man baut wieder die Warenbestände auf. Insofern war der Großhandel gezwungen, aufgrund der schwierigen Liefersituation massiv seien Bestände zu erhöhen und konnte somit vorsorgen.

Wird sich die Branche des Großhandels in Folge der Krise verändern oder gar transformieren? Und wenn ja, inwiefern?

Ja, ich denke schon, dass sich die Branche verändern wird, die Veränderungen aber bei Weitem nicht so massiv ausfallen, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Wir wissen, dass in 6 bis 7 Jahren bei unseren Kunden, den Handwerksunternehmen, bei bis zu 75 Prozent der Betriebe der Generationswechsel ansteht. Die neuen Inhaber der Betriebe werden dann keine 50 und auch keine 40 Jahre alt sein, weshalb wir dann schon über Digital Natives reden. Damit verändern sich die Anforderungen, die aus der Kundschaft kommen, die unsere Branche nachhaltig verändern werden. Die Veränderungen, glaube ich, sind genau die, die jetzt alle Branchen vollziehen. Das heißt, die Digitalisierung geht nach vorne. Es wird weniger geflogen, es werden weniger Ressourcen verbraucht und viele weiterer solcher Veränderungen, die aktuell schon stattfinden. Die Ukraine-Krise wird eine nachhaltige Veränderung in unserer Gesellschaft und auch in unserer Branche mit sich bringen. Davon bin ich überzeugt.

Wie hat die Branche auf die Krise reagiert? Wurden gezielt Innovationen angestoßen, um den Auswirkungen der Krise entgegenzuwirken?

Also Innovationen sehe ich gar nicht. Wir sind eine sehr innovationsarme Branche. Also was wirkliche Innovationen angeht, dabei rede ich jetzt nicht davon, dass beispielsweise Teppichböden aus Maismehl hergestellt werden oder so was. Das sind für mich Produktinnovationen. Also ich finde, du hast eine Innovation, wenn du kopiert wirst und wenn dich niemand kopiert, hast du auch keine Innovation. Das haben wir in der Branche nicht – wir sind schlichtweg nicht innovativ. Ohne, dass ich das schmälern will, es gibt zwar diverse technische Weiterentwicklungen von Dispersionen und so weiter, aber große Innovationen, die disruptiv etwas verändern, sehe ich nicht. Dafür ist der Markt auch nicht groß genug. Grundsätzlich ist die Branche skeptisch gegenüber Veränderungen, ist tendenziell eher reaktiv und treibt Innovationen nicht von sich aus an.

Haben Sie Unterschiede zwischen Familienunternehmen und Nicht – Familienunternehmen im Umgang mit den Krisen feststellen können?

Da muss ich sie leider enttäuschen. Natürlich ist ein Familienunternehmen, wenn es schon über mehrere Generationen besteht, langfristiger aufgestellt und aufgrund der gesammelten Erfahrung in Krisenzeiten etwas entspannter, weil es schon viel erlebt hat- gar keine Frage, aber ich muss trotzdem sagen, dass ich keinen Unterschied zu Nicht-Familienunternehmen feststellen konnte. Das liegt aber sicherlich auch an der Struktur unserer Branche. Bei uns ist es nicht so, dass Manager oder angestellte Geschäftsführer nur kurzfristige Erfolge erzielen müssen. Das ist in anderen Branchen der Fall, aber nicht bei uns. Also meiner Meinung nach kommt es immer auf den einzelnen Menschen an, wie er/sie auf solch einer Krise reagiert, mit wem er interagiert, wie er mit seinen Mitarbeitern und mit seiner Struktur umgeht. Ich würde jetzt mal aus meiner Erfahrung heraus sagen, da kommt es weniger darauf an, ob man ein Familienunternehmen ist oder nicht, sondern es ist entscheidend, wie die Führungskraft mit der Krise individuell umgeht.

Herzlichen Dank Herr Bergfeld für das tolle Gespräch!

Geschrieben von Lisa Winkler, Head of Science & B2B bei Haus Next

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