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Resilienz – Das Immunsystem der Seele

Mehr als zwei Jahre anhaltender Stress für die Seele – für einige mehr, für andere weniger. Die Corona-Pandemie war und ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für viele Individuen eine herausfordernde Krisenzeit: eine stürmische Phase für unser psychisches Wohlergehen und unseren Alltag. Woran liegt es jedoch, dass manche Menschen besser und andere weniger gut mit diesem Stress umgehen können, den die Pandemie mit sich bringt?

Resilienz“ ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Physik stammt. Er bezeichnet die Fähigkeit eines Werkstoffes, nach einer Verformung selbstständig zurück in seine ursprüngliche Form zu finden (lat. „resilire“ = abprallen, zurückspringen). Auch im Kontext von Ökosystemen findet der Begriff Anwendung. Resilienz bedeutet hierbei, dass sich ein Ökosystem von einem Schaden, der ihm zugefügt wurde, wieder erholen kann, oder sogar den Schaden abwenden kann. In der Psychologie bezeichnet Resilienz die Fähigkeit, bei äußeren Stressoren, Krisensituationen und Belastungen widerstandsfähig zu sein (Vella & Pai, 2019). Man könnte es auch das Immunsystem der Seele nennen, das uns dabei helfen kann, mit Krisen in unserem Leben und in unserer Umwelt möglichst unbeschadet umgehen zu können.

Während frühere Forscher von Resilienz als eine Persönlichkeitseigenschaft ausgingen, die Individuen in unterschiedlicher Ausprägung mit sich bringen, ist die Forschung sich diesbezüglich nicht mehr einig. Der Boden der Resilienzforschung wurde mit der sogenannten Kauai-Studie gelegt, bei der 700 Kinder, die im Jahr 1955 auf der Insel Kauai geboren wurden, über 40 Jahre lang begleitet wurden (Werner, 2008). Ein Drittel dieser Kinder wuchs unter äußert herausfordernden Lebensumständen auf, die durch Armut, Krankheit der Eltern oder Gewalt in der Familie geprägt waren. Obwohl der Großteil dieser Risikogruppe im Laufe des Lebens psychiatrisch auffällig oder verhaltensauffällig wurde, entwickelte sich ein Drittel dieser Kinder auffallend positiv. Ihr Leben war geprägt von stabilen sozialen Beziehungen, erfüllender Arbeit und einer optimistischen Lebenseinstellung. Die Autoren der Studie schlossen aus den Beobachtungen, dass es gewisse Faktoren, Eigenschaften und Strategien geben müsse, die es manchen Menschen ermöglicht, trotz schwieriger Umstände widerstandsfähig durchs Leben zu gehen – und damit einen Schutz gegen Krisen, Stress und Widrigkeiten zu entwickeln.

Heutzutage wird Resilienz im psychologischen Sinne auch als die mentale und emotionale Flexibilität verstanden, das eigene Verhalten auf die Gegebenheiten der Umwelt anzupassen – und ist dabei nicht von Geburt an vorgegeben, sondern kann verändert und erlernt werden. Manche Forscher gehen davon aus, dass sich Resilienz sogar nur dann entwickeln kann, wenn wir immer wieder Risiken und Widrigkeiten ausgesetzt sind (Rutter, 2006). Resilienz wächst also auf dem Boden von Krisen und muss, genauso wie unser Immunsystem, immer wieder Stress in Form von Krankheitserregern ausgesetzt sein, um Abwehrkräfte zu entwickeln.

Was bedeutet es denn aber nun, resilient zu sein?

Die eine „richtige“ Antwort darauf gibt es wohl nicht, denn Resilienz kann von jedem Menschen unterschiedlich erlebt werden. Der Forschung zufolge sind wir resilient, wenn wir trotz Stress und Krisen unsere mentale Gesundheit aufrechterhalten können und unsere individuelle Funktionsfähigkeit in einem stabilen Gleichgewicht erhalten bleibt (Bonanno, 2004; Vella & Pai, 2019). Ob uns das gelingen kann, wird dabei von unserer Umwelt und den Menschen um uns stark beeinflusst. Was bedeutet das genau? Stellen wir uns einen Schiffskapitän vor, der sein Leben auf hoher See verbringt. Je mehr Stürme er erlebt, umso besser kann er vermutlich sein Schiff durch diese stürmischen Zeiten navigieren. Er lernt mit jedem Sturm dazu, wie er die Wellen lesen kann, wie er sein Schiff lenken muss und wie er dem Risiko des Kenterns möglichst sicher entkommen kann. Inwiefern das gelingt, hängt jedoch nicht nur von ihm selbst und seinen Fähigkeiten ab, sondern auch von äußeren Faktoren, wie der Beschaffenheit seines Schiffs, den Fertigkeiten und dem Zusammenhalt seiner Crew, und der Stärke des Sturms.

Auch wenn unsere Umwelt einen großen Einfluss auf unsere Widerstandsfähigkeit hat, muss es gleichwohl auch in uns selbst Faktoren und Gegebenheiten geben, die uns resilient werden lassen – die unsere Seele in stürmischen Zeiten widerstandsfähiger machen. In der Forschung findet man zahlreiche Ansätze, um diese individuellen Resilienzfaktoren zu definieren. Ein Modell, das sich zunehmend durchgesetzt hat, ist das der „7 Säulen der Resilienz der Diplompsychologin Ursula Nuber. Das Modell fasst zusammen, was die Entwicklungs- und Sozialpsychologie als Schlüsselfaktoren zusammengetragen hat, um die eigene Resilienz zu stärken. Es reduziert die Komplexität, das Resilienz mit sich bringt, auf ein verstehbares und sinnhaftes Level. Vor allem im Coaching wird dieses Modell deshalb inzwischen vermehrt erfolgreich angewendet, da es gut auf die Praxis übertragbar ist.

Was verbirgt sich aber genau hinter diesen „7 Säulen der Resilienz“?

  1. Optimismus: Man ist der Überzeugung, dass Krisen nur von zeitlich begrenzter Dauer und überwindbar sind. Zu Optimismus zählt auch die Auffassung, durch die eigene Selbstwirksamkeit einen Einfluss auf die Geschehnisse des Lebens haben zu können.
  2. Akzeptanz: Erst wenn die Krise akzeptiert wird, können Schritte unternommen werden, um sie zu überwinden.
  3. Lösungsorientierung: Statt die Krise und den Stress zu vermeiden, bewegt man sich hin zu einer Haltung, die nach Lösungen sucht und auf diesem Weg danach strebt, die Kontrolle über die Situation wiederzuerlangen.
  4. Opferrolle verlassen: Man ist sich bewusst darüber, dass man der Krise nicht ausgeliefert ist. Stattdessen besinnt man sich auf seine eigenen Stärken und stellt die eigene Handlungsfähigkeit wieder her.
  5. Verantwortung übernehmen: Statt sich auf die vermeintlich eigene Schuld oder die Schuld anderer zu konzentrieren, übernimmt man Verantwortung für sein Denken, Tun und Handeln.
  6. Netzwerkorientierung: Ein stabiles soziales Netzwerk (abseits von digitalen Medien) stellt einen starker Schutzfaktor dar, der in Krisen Sicherheit vermitteln kann.
  7. Zukunftsplanung: Zukünftige Krisen können durch entsprechende Vorbereitung und Zielearbeit antizipiert und dadurch so gut wie möglich bewältigt werden.

Es gibt also gute Nachrichten: Resilienz lässt sich erlernen, entwickeln und über die Zeit aufbauen. Wir können lernen, in Krisenzeiten erfolgreich zu navigieren, große Stürme zu meistern und dabei widerstandsfähig das Steuerrad des Schiffs zu lenken. Genauso wie auf hoher See gehören Stürme, Stress und Krisen zum Leben dazu – erspart bleiben werden uns solche Zeiten also voraussichtlich auch in Zukunft nicht. Wir können jedoch lernen, unser Handeln und Denken so zu steuern, dass wir handlungsfähig bleiben und unsere inneren Ressourcen aktivieren. Um es mit Albert Camus‘ Worten zu sagen: „Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt“.

Quellen:

Bonanno, G. (2004). Loss, trauma, and human resilience: Have we underestimated the human capacity to thrive after extremely aversive events? The American Psychologist, 59, 20–28.

Rutter, M. L. (2006). Implications of resilience concepts for scientific understanding. Annals of the New York Academy of Sciences, 1094.

Vella, S.-L. & Pai, N. (2019). A theoretical review of psychological resilience: Defining resilience and resilience research over the decades. Archives of Medicine and Health Sciences, 7, 233.

Werner, E. E. (2008). Entwicklung zwischen Risiko und Resilienz. In G. Opp & M. Fingerle (Hrsg.), Was Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko und Resilienz (S. 20–31). München: Reinhardt.

Geschrieben von Julia Mecheels, Content bei Haus Next

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