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Persönliche Krisen – ein Plädoyer gegen das Schweigen

Es ist wohl die häufigste Frage, mit denen Alltagskonversationen beginnen: „Wie geht es dir?“ – „Gar nicht gut, ich befinde mich in einer großen Krise und weiß gerade nicht mehr weiter.“ Eine solche Antwort bekommt man dann wohl doch eher selten. Weshalb auch? Man bringt das Gegenüber potenziell in eine unangenehme Situation und macht sich selbst gleichzeitig angreifbar und vulnerabel. Mir selbst war es lange Zeit in herausfordernden Phasen meines Lebens eher danach, mich im hintersten Winkel zu verkriechen, statt mich mit dem zu zeigen, was mich gerade beschäftigt.

Weshalb ist es für uns oft so unangenehm, offen über Krisen zu sprechen?

Weil es meiner Meinung nach in unserer Gesellschaft heutzutage immer noch sehr schambehaftet ist, sich in einer Krise zu befinden; nicht mehr zu funktionieren, eine Pause einlegen zu müssen. Die sozialen Medien sind gefüllt von vermeintlich perfekten Leben, vermeintlich perfekten Jobs, vermeintlich perfekten Lebensläufen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich manche Menschen für das schämen, was nicht perfekt ist – und eine Krise ist ganz und gar nicht perfekt, im Gegenteil.

Das chinesische Wort für „Krise“ besteht aus zwei Schriftzeichen: 危机 – Das erste Zeichen bedeutet „Gefahr“, das zweite „Chance“.

Wenn ich in einer Krise stecke, empfinde ich den Zustand als eine Gefahr für den Status quo, als eine Bedrohung für mein inneres Gleichgewicht, und es fehlt mir dann teilweise die Zuversicht für die nahe oder auch ferne Zukunft. Eine Krise löst Stress aus, und Lebewesen aller Art reagieren unterschiedlich auf Stresssituationen. Das nordamerikanische Opossum stellt sich beispielsweise bei Gefahr im Verzug tot und verfällt in eine Starre – so ähnlich können auch Krisen uns in eine Starre verfallen lassen, wenn wir uns ohnmächtig fühlen und nicht wissen, wie wir der Situation entkommen können. Unser Organismus reagiert auf Gefahren meist mit Freeze, Fight oder Flight, also mit Erstarrung, Angriff oder Flucht. Wir fühlen uns dann bewegungslos, reagieren gereizt oder ziehen uns von allem und jedem zurück. Alle diese Reaktionen haben jedoch eines gemeinsam – ein klares Denken ist nicht mehr möglich, unsere Reaktionen sind eher impulsgesteuert als kontrolliert und durchdacht. Wie auch, denn unser Organismus möchte uns vor einer vermeintlichen Gefahr bewahren.

Eine Krise wünscht man sich also auf keinen Fall – oder?

An dieser Stelle ein kleiner Einblick in meine persönlichen Erfahrungen: Mein Leben war lange Zeit geprägt von dem Wunsch, voranzukommen, beruflich erfolgreich zu sein und mich zu beweisen, um als Next Gen irgendwann ins familieneigene Unternehmen einsteigen zu können. Damals ging ich diesen Weg mit dem Leitsatz „höher, schneller, weiter“ und dachte gar nicht daran, dass es Steine, geschweige denn Krisen geben könnte, die auf diesem Weg liegen könnten. Nach dem Studium bin ich in einen fordernden Job eingestiegen, hatte meine Zeit größtenteils der Arbeit und Karriere verschrieben und dachte, das ist der Weg, der mich glücklich machen wird. Und für manche Menschen mag das auch gewiss so funktionieren.

Doch mich führte dieser Weg in eine Krise: Durch gesundheitliche Probleme, familiäre Herausforderungen und übermäßiger Stress im Alltag kam ich an einen Punkt, der mich genau zu der „Freeze, Fight, Flight“ Situation führte, die Krisen und Stress oftmals mit sich bringen. Ich war nicht mehr funktionsfähig, zog mich aus meinem sozialen Umfeld zurück und versteckte mich in dem dunklen Winkel, der sich zu dem Zeitpunkt sicher genug anfühlte, um das damalige seelische Ungleichgewicht auszuhalten.

Die Krise als Chance?

Es gibt da gleichwohl auch noch das zweite Zeichen des chinesischen Wortes für die Krise: die „Chance“. Als ich mich traute, mir in meiner Krise Unterstützung zu holen, begann ich zu verstehen und kam aus meiner Starre in eine neue Bewegung. Heute schäme ich mich nicht mehr dafür, meine Krise mit professioneller Unterstützung aufgearbeitet zu haben und mit Menschen, die mir nahestehen, offen über meine Gedanken und Sorgen gesprochen zu haben – denn ich begegnete so viel Verständnis und Mitgefühl, dass ich mich aus meinem hintersten Winkel wieder heraustrauen konnte und mit der Krise statt gegen sie arbeiten konnte. Krisen entstehen häufig, wenn man mit den bekannten Problemlösemöglichkeiten herausfordernde Situationen nicht mehr bewältigen kann und es neue Strategien braucht, um bisher unbekannten Herausforderungen zu begegnen. In meinem Fall bedeutete das, Entscheidungen zu treffen, die für mich gesunde Grenzen setzten und mein Leben in vielerlei Hinsicht in eine neue Richtung lenkten – und man kann sich vielleicht vorstellen, dass solche Entscheidungen nicht immer leicht zu treffen sind, denn sie betreffen oft auch das nahe Umfeld und führen zu Veränderungen, die über die eigene Person hinausgehen. Wir interagieren schließlich auch immer mit unserem Umfeld, wie ein Zahnrad, das durch die eigene Bewegung andere Zahnräder in Drehung versetzt. In Krisenzeiten braucht es häufig Mut, um Entscheidungen zu treffen, die bis zu diesem Zeitpunkt undenkbar waren.

Gerade für Next Gens spielt das Umfeld eine bedeutende Rolle, denn oft sind eben Unternehmen und Familie mit dem privaten Wohlergehen eng verwoben. Dabei kann es vermeintlich große Auswirkungen haben, wenn ein Zahnrad in dem komplexen System sich plötzlich in einer anderen Geschwindigkeit dreht. Aus meiner Erfahrung ist es hierbei zum einen wichtig, sich Unterstützung zu holen, um die Ebenen zu trennen, die involviert sind – denn Krisen sind hochemotional. Wie kann ich trotz der vielleicht weitreichenden Verworrenheit dennoch den Fokus darauf richten, was mir als Individuum guttut? Bin ich bereit, Entscheidungen zu treffen, die auch die anderen Ebenen, wie die Familie und das Unternehmen, in Wallung versetzen? Wie kann ich für mich selbst sorgen und den Blick auf meinen eigenen Weg gerichtet halten, um die Krise zu überwinden?

Zum anderen halte ich eine (moderierte) transparente Kommunikation über alle Ebenen hinweg als wichtigen Faktor als Next Gen. Falls man sich in einer Krise befindet, die wichtige Entscheidungen auf Unternehmensebene beinhalten, kann es hilfreich sein, sich Unterstützung zu holen, um diese so gut wie möglich zu kommunizieren. Denn auch durch Krisen zu kommen ist meiner Meinung nach ein Lernprozess – und warum sich dabei nicht von Externen die Unterstützung holen, die einen neutralen Blick auf das richten können, was für mich als Individuum vielleicht sehr emotional besetzt ist?

Heute weiß ich, dass zumindest für mich große und kleine Steine auf dem Weg meines Lebens dazugehören. Sie werden mich hoffentlich immer wieder dazu bringen, zu hinterfragen, ob ich noch im seelischen Gleichgewicht bin – und falls nicht, mich dazu ermutigen, dieses wieder herzustellen. Ich war und bin sehr dankbar für die Unterstützung meines Umfelds, und habe erfahren, dass ich mich nicht dafür schämen muss, nicht mehr so zu funktionieren, wie ich es gewohnt war, Zeit zu brauchen und eine neue Ausrichtung im Leben zu finden. Für mich war es eine Chance, neue Wege zu gehen, auch wenn es eben in meinem Fall nicht über „höher, schneller, weiter“ war.

Daher sind diese Worte ein Plädoyer – zum einen an diejenigen, die den Menschen begegnen, die in einer Krise sind: Betroffene wünschen sich oft eher Verständnis und ein offenes Ohr statt vermeintlich schneller Lösungen. Zum anderen sind die Worte eine Ermutigung an diejenigen, die sich in einer Krise befinden, sich Unterstützung zu holen, sei es professionell oder im persönlichen Umfeld, und sich die Zeit zu geben, die Krisen eben brauchen. Herausfordernde Zeiten brauchen aus meiner Sicht Verständnis, Vertrauen und Mut – und sind eben alles andere als perfekt.

Geschrieben von Julia Mecheels, Content bei Haus Next

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