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Von Elefanten, Mistkäfern und Familienunternehmen – Einblicke in die systemische Arbeit (Teil 1)

Wer im afrikanischen Busch auf Entdeckungstour geht, taucht nicht nur in eine faszinierende Flora und Fauna ein, sondern begibt sich mitten hinein in eine komplexe Funktionalität der Natur. Das Ökosystem scheint reibungslos zu funktionieren; jedes Tier, jedes Wesen, jeder Organismus hat seinen Platz darin. Jedoch kann man bei tieferem Eintauchen erkennen, dass es nur durch Interaktion der verschiedenen Akteure möglich ist, dieses Ökosystem zu erhalten. Ein Elefant, beispielsweise, braucht um zu überleben in seinem Umfeld genug Bäume, um täglich mehr als 150 Kilogramm Nahrung zu sich zu nehmen. Ein Elefant lebt jedoch oft in Herden, und somit ist die ganze Herde abhängig von der verfügbaren Fauna, um zu (über-)leben. Mistkäfer, um einen Vertreter der kleineren Tierwelt zu nennen, benötigen wiederum den Dung der Elefanten um sich zu ernähren. Es handelt sich also um ein selbstorganisiertes System, das sich in Wechselwirkungen mit der Umwelt auf verschiedene Weisen entwickeln kann und dadurch einer gewissen Tierwelt einen Lebensraum bietet. Ohne eine ausreichende Anzahl an Bäumen also keine Elefanten, ohne Elefanten keine Mistkäfer. Ein System der Natur, das nur durch das Verhalten der einzelnen Akteure und deren Interaktion als Gesamtes aufrecht erhalten werden kann.

Was hat nun aber der afrikanische Busch mit Familienunternehmen zu tun?

Auch das Familienunternehmen und die unternehmerische Familie stellen Systeme dar, in denen Individuen miteinander agieren. Es gibt zum einen die Familie und zum anderen das Unternehmen – Zwei Kommunikationssysteme, in denen die beteiligten Individuen sehr wahrscheinlich unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag legen werden. Die Kommunikation in diesen Systemen folgt unterschiedlichen Regeln und Logiken.

  • Das System der Familie baut auf Bindung und Zugehörigkeit. Die Kommunikation in der Familie dient vorrangig der Erhaltung der Verbundenheit. Wenn es um Entscheidungen geht, hat in diesem System das Wohl der Person Vorrang vor der Funktion, da der Erhalt der familiären Beziehungen an erster Stelle steht.
  • Im System des Unternehmens folgen Entscheidungen und Kommunikation der Bedeutung für die Funktionalität des Unternehmens. Verhalten, welches der Funktionalität dient, hat also Vorrang vor der Person und basiert auf rationalen Entscheidungen.

Bei genauerer Betrachtung sind diese beiden Systeme miteinander nur schwer unvereinbar. Was im familiären Kontext angebracht wäre, passt nicht unbedingt in die Logik des Unternehmens. Wenn eine unternehmerische Familie am Küchentisch sitzt und miteinander über den anstehenden Familienurlaub diskutiert, würde die Kommunikation sicherlich anders ablaufen, als wenn man sich über eine anstehende Investition im Familienunternehmen unterhält. Hier wäre es wohl für alle Individuen herausfordernder, die Ebenen von Familie und Unternehmen klar zu trennen.

Weshalb ist systemisches Arbeiten denn nun eigentlich relevant für Familienunternehmen?

Um diese Frage zu beantworten braucht es vielleicht zuerst eine kurze Einführung in einige Grundlagen der systemischen Arbeit. Diese folgt unter anderem zwei Grundsätzen:

  1. Kontextabhängigkeit: Jedes beobachtbare Verhalten bekommt je nach Kontext, in dem es beobachtet wird, unterschiedliche Bedeutungen. Es ist ein recht vertrautes Bild, wenn jemand im Fußballstadion laut jubelt, die Hände in die Höhe reißt und fremde Menschen um sich herum vielleicht sogar vor Freude über einen Torschuss umarmt. Würde diese Person sich jedoch am Arbeitsplatz im Unternehmen so verhalten, bekäme das Verhalten eine andere Bedeutung.
  2. Beobachtung 2. Ordnung: Es gibt keine neutralen Beobachter:innen. Die Beobachtenden sind selbst Teil des Systems und wirken auf dieses ein. Das bedeutet, dass beispielsweise auch ein Therapeut oder eine Therapeutin kein unbeteiligtes Individuum ist, sondern durch die Therapie und die dazugehörigen Gespräche wiederum selbst Teil des Systems der Klienten oder Klientinnen wird.

Diese beiden Grundsätze führen dazu, dass das Verhalten eines Individuums immer im Kontext der Umwelt betrachtet wird. Nur wenn man den Kontext einer Person kennt, wird das Verhalten und die Auswirkungen davon verstehbar, denn es basiert auf Wechselwirkungen. Wie verhält sich ein Next Gen als Mitglied in der Familie, als Nachfolger:in im Familienunternehmen, als Mitarbeiter:in, als Freund:in? Wie verhalten sich die Personen aus der Umwelt im Beisein des Next Gens? Und zu welchen Wechselwirkungen und Auswirkungen führt diese Verhalten?

Systemische Arbeit bezieht sich immer auf den Kontext, in dem ein Individuum agiert.

Das bedeutet, dass die Probleme und Herausforderungen einer Person aus den Interaktionen mit der Umwelt resultieren. Gewohnte und konfliktfördernde Kommunikationsmuster in einer Familie können das Resultat dessen sein, wie die Familie sich in Interaktion am Abendessenstisch miteinander verhält. Wenn zwei Geschwister miteinander über das nächste Urlaubsziel streiten, könnte es einen Einfluss gehabt haben, dass die beiden vor kurzem einen Konflikt im gemeinsam geführten Familienunternehmen hatten. Beide waren vielleicht durch den Streit im Arbeitskontext gekränkt und lassen diese Gefühle in die Urlaubsdiskussion mit einfließen.

Mit systemischer Arbeit kann ein Auswirkungsbewusstsein geschaffen werden.

Welche Auswirkungen hat mein Verhalten auf meine Umwelt und welche Auswirkungen hat das Verhalten meiner Umwelt auf mich selbst? Wie können zukünftig Unterschiede darin entstehen, wie wir als Familie miteinander umgehen? Wie können wir zukünftig unterscheiden, ob wir im System der Familie oder im System des Unternehmens kommunizieren?

Der Elefant, der mit seiner Herde durch den Busch zieht, wird den kleinen Mistkäfer wohl nur mit großem Zufall wahrnehmen. Dem Elefanten ist nicht bewusst, dass das Ökosystem, in dem er lebt, nur funktionieren kann, weil ein Mistkäfer von seinem Dung lebt. Würde der Elefant sich dieser Auswirkung bewusst sein, würde er vielleicht nächstes Mal genauer darauf achten, wo er hintritt – denn er hätte ein Auswirkungsbewusstsein, das für einen kleinen Mistkäfer einen großen Unterschied machen könnte.

Systemische Arbeit kann also ein Bewusstsein für Auswirkungen von Verhalten schaffen und Individuen dabei behilflich sein, ihre Interaktionsmuster mit der Umwelt zu verstehen und zu verändern. Mit systemischer Arbeit können unternehmerische Familien die Auswirkungen der Überlappung von Familie und Unternehmen verstehen und an Unterschieden arbeiten, die eine Interaktion innerhalb dieser Systeme erleichtern kann.

Nun haben wir euch einige Grundlagen systemischer Arbeit vorgestellt, um euch einen ersten Überblick darüber zu geben, was das bedeutet und weshalb es auch für Familienunternehmen relevant ist. In einem zweiten Teil dieser Reihe möchten wir Interventionen und Methoden vorstellen, die in der systemischen Arbeit genutzt werden. Wer also wissen möchte, wie es mit dem Elefanten und dem Mistkäfer weitergeht, und wie sowohl im afrikanischen Busch als auch im Familienunternehmen im Rahmen eines systemischen Coachings gearbeitet werden kann, kann sich auf den zweiten Teil unsere Reihe freuen!

Quelle: Schlippe, A. von (2018): Familienunternehmen im Coaching – spezifische Dynamiken. In: Greif, S., Möller, H., Scholl, W. (Hrsg.): Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching.

Geschrieben von Julia Mecheels, Content bei Haus Next

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