Haus Next

Das Getriebemodell der Nachhaltigkeit

Zum aktuellen Haus Next Fokusthema „Nachhaltigkeit als Teil der DNA der Unternehmerfamilie?“ haben wir Expert*innen nach ihren Erfahrungen und Meinungen gefragt. Rena Haftlmeier-Seiffert von der EQUA-Stiftung beschäftigt sich schon lange mit dem Konzept von Nachhaltigkeit in Familienunternehmen und den zugrundeliegenden Mechanismen. In ihrem Gastbeitrag teilt sie ihre Gedanken und Erfahrungen zu dem Thema mit Euch – mit einem ganz individuellen Modell der Nachhaltigkeit. Vielen Dank, liebe Rena, für das Teilen Deiner Erfahrungen und Deines Wissens!

Einführung

Die meisten Nachhaltigkeitsmodelle und -konzepte (die hier leider aus Platzgründen nicht diskutiert werden können) stellen die Reduktion des Rohstoff- und Ressourcenverbrauchs und damit den Schutz der Erde in den Mittelpunkt. 

Dies ist zwar keineswegs falsch, jedoch meines Erachtens etwas zu kurz gedacht. Eine solche Betrachtungsweise blendet nämlich aus, dass die Frage nach Nachhaltigkeit immer aus der Perspektive des Menschen gestellt wird. Somit sollte bei allen Nachhaltigkeitsüberlegungen nicht der Schutz unseres Planeten im Zentrum stehen. Dieser ist zwar durchaus Bedingung, aber nicht Ziel. Denn gleichgültig, was wir mit der Erde anstellen und wie wir sie ausbeuten, verseuchen und knechten, sie wird weiterbestehen – dann aber allerdings wahrscheinlich ohne uns Menschen. Wenn es aber um das Überleben der einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit geht, dann gilt es, alle Nachhaltigkeitsüberlegungen konsequenterweise auch auf diesen zurück zu beziehen. Deshalb sollte im Mittelpunkt jeglicher Nachhaltigkeitsüberlegung der Mensch stehen. Und dabei geht es nicht darum, dass eine Säugetierart mit aufrechtem Gang überlebt, sondern der Mensch als Mensch, der in Würde lebt, mit all seinen typisch menschlichen und kulturellen und ihn gerade vom Tier unterscheidenden Eigenschaften und Bedürfnissen. 

Das Getriebemodell der Nachhaltigkeit

Im Zentrum steht die Sicherung der allgültigen (für alle, immer, überall) Menschenwürde

Damit Menschen aber in Würde leben können, müssen ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Dies ist nur durch die Produktion von Gütern und entsprechenden Dienstleistungen möglich. Und dabei ist nicht nur an die fundamentalen Bedürfnisse nach gesunder Nahrung, angemessener Kleidung und Wohnung zu denken, sondern auch an die Bedürfnisse nach Kultur, Musik, Tanz, Literatur, Mobilität und vieles mehr, was uns Menschen erst zum Menschen macht.

Darüber hinaus ist ein würdevolles Leben selbstverständlich auch nur möglich, wenn die Natur bzw. Umwelt intakt ist. Ist die Luft so verschmutzt, dass ein Atmen nur noch schwer möglich ist, sind die Flüsse verseucht, die Meere verdreckt, ist ein Leben und schon gar ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. 

Wichtig ist dabei, dass es eine selbstverständliche Maxime werden muss, dass ein solches Leben in Würde allen Menschen gleichermaßen zusteht. Dies ist nur durch eine globale und generationsübergreifende soziale Fairness möglich. Es nützt selbstverständlich nichts, wenn eine Schwedin auf Kosten eines Pakistanis oder wenn die Großeltern auf Kosten ihrer Enkel in Würde leben. Denn die Würde des Menschen gilt für alle und jeden.

Das Getriebemodell zeigt, wie all diese Faktoren ineinandergreifen müssen, um sich drehen zu können. 

Dabei ist das Modell noch weiter zu denken, denn die drei Hauptzahnräder, welche die drei Hauptaspekte der Nachhaltigkeit symbolisieren, werden natürlich von verschiedenen kleineren Zahnrädern angetrieben, die wiederum von noch kleineren in Gang gesetzt werden.

Blockiert nur ein Zahnrad, dann bleibt das gesamte Getriebe und damit auch die zentrale Welle stehen – die Sicherung der allgültigen Menschenwürde ist dann nicht gewährleistet.

Nachhaltigkeit in Familienunternehmen

Familienunternehmen im Getriebemodell

Verortet man Familienunternehmen im Getriebemodell der Nachhaltigkeit, so wird anschaulich, dass die (Mitglieder der) Unternehmerfamilien selbstverständlich zum einen die maßgeblichen Treiber für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen sind. Dabei sind sie allerdings auch wiederum von ihren Stakeholdern angetrieben.

Die Unternehmerfamilien sind es aber auch, die sich um die soziale Fairness in ihren Unternehmen und in ihrer Region bzw. an ihren Standorten kümmern, genauso wie um den Natur- und Ressourcenschutz, wenngleich sie dafür natürlich nicht allein verantwortlich sind. 

Ihre Zahnräder treiben (gemeinsam mit anderen) die Hauptwelle an und sichern damit die allgültige Menschenwürde, sofern sie gleichmäßig ineinandergreifen, und ihre Geschwindigkeit aufeinander abgestimmt ist.

Vernachlässigen oder hintertreiben die Unternehmerfamilien gar einen der Aspekte, ist ihr Wirtschaften nicht als nachhaltig zu bezeichnen. Dann handeln sie wider die allgültige Menschenwürde. 

Im Getriebemodell würde dies bedeuten, dass eines der Zahnräder blockiert wird und deshalb das gesamt Nachhaltigkeitsgetriebe stillsteht.

Nachhaltigkeit ist bei Familienunternehmen konstitutiv

(Börsennotierte) Unternehmen in Streubesitz denken von Quartalsbilanz zu Quartalsbilanz und deren Geschäftsführer meist nur bis zum Ende ihres Drei- bis Fünfjahresvertrags. Mit einer Einstellung: ‚nach diesem Quartal/ dem Ende meines Anstellungsvertrages die Sintflut‘ ist dann aber der Verschwendung (das Gegenteil von Ressourcenschonung), der Mitarbeiterausbeutung (das Gegenteil von sozialer Fairness) etc. Tür und Tor geöffnet. Bei einem solchem Wirtschaften steht dann nicht die Würde aller Menschen, sondern die Profitmaximierung im Mittelpunkt. Solches Wirtschaften ist nicht nachhaltig.

Familienunternehmen denken hingegen transgenerational und wollen das Unternehmen langfristig in der Familie halten. Deshalb beziehen sie in ihrem gegenwärtigen Wirtschaften, also bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, immer die Zukunft mit ein.

Durch die weit verbreitete Treuhändermentalität, die in der Überzeugung gipfelt, dass nur die Gewinne genutzt werden sollen und die Substanz nicht angegriffen werden darf, handeln Familienunternehmen ressourcenschonend.

Außerdem bestehen in der Regel in Familienunternehmen lange und persönliche Beziehungen zwischen der Unternehmerfamilie und den Mitarbeitern, da die Mitarbeiter als Teil der Familie angesehen werden. Aus diesem Grunde sind Familienunternehmen auch dafür bekannt, soziale Verantwortung zu übernehmen und fair gegenüber den Mitarbeitern zu sein.

Familienunternehmen ohne ein Denken über den Tag hinaus, ohne Ressourcenschonung und Mitarbeiterbindung wären keine Familienunternehmen. Familienunternehmen sind dann Familienunternehmen, wenn sie sich als ‚enkelfähig‘ erweisen. 

Es gehört also zum Selbstbild, so zu wirtschaften, dass das Unternehmen an sich und deshalb auch die Lebensumstände etc. auf Dauer bewahrt bleiben. Nachhaltigkeit ist damit konstitutiv für Familienunternehmen.

Wenn diese Aspekte im Zentrum des (unternehmerischen) Wirtschaftens stehen, setzen die Unternehmen gemäß unserem Getriebemodell das Nachhaltigkeitsgetriebe in Gang, bei dem die Sicherung der allgültigen Würde des Menschen im Mittelpunkt steht. 

Zusammenfassung

Das Getriebemodell macht die Komplexität der Nachhaltigkeit strukturell klar. 

Die (potentiell) sehr vielen Zahnräder verdeutlichen erstens, dass nachhaltiges Handeln aus sehr vielen Aspekten besteht. 

Zweitens müssen die Zahnräder bei einem Getriebe genau zueinander passen und ineinandergreifen, was bedeutet, dass die diversen Aspekte der Nachhaltigkeit aufeinander abgestimmt sein müssen. 

Drittens müssen alle Zahnräder in einem Getriebe gleichmäßig schnell laufen. Dies symbolisiert, dass kein Aspekt der Nachhaltigkeit bei Interessenskonflikten negiert bzw. priorisiert werden darf, alle müssen gleichermaßen berücksichtigt werden. Das Gegenteil wäre ein zu schnelles Drehen eines Rades (z.B. die Sicherung der Bedürfnisbefriedigung durch eine überhitzte Wirtschaft) und damit in der Konsequenz der Bruch von langsamer laufenden Rädern und damit der Stillstand des Gesamtgetriebes.

Viertens lässt das Getriebemodell offen, welches der Zahnräder aktiv und welches passiv angetrieben wird. Entsprechend können sich bei nachhaltigem Handeln die Bedingungen und Voraussetzung immer wieder ändern, so dass die treibende Kraft bzw. eben der treibende Aspekt immer wieder ein anderer sein kann; wichtig ist nur, dass das Gesamtgetriebe der Nachhaltigkeit gleichmäßig läuft. 

Und fünftens zeigt das Getriebemodell, dass nachhaltiges Handeln nur dann ein solches ist, wenn die Einzelaspekte nicht um ihrer selbst willen betrieben werden (z.B. Naturschutz), sondern wenn es einem höheren Ziel dient, nämlich der Sicherung der Würde aller Menschen.

Außerdem wurde gezeigt, dass gerade in Familienunternehmen nachhaltiges Handeln par excellence gegeben ist. Denn bei ihnen ist nachhaltiges Wirtschaften konstitutiv.

Geschrieben von Dr. Rena Haftlmeier-Seiffert (EQUA-Stiftung)

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